zurück nach Jaffna

Samstag, 28.02.2015

Wenn man etwas ZUM ersten Mal macht, fühlt man sich toll. Wenn man etwas ALS erster macht, fühlt man sich fantastisch.

Wir fühlen uns toll und fantastisch!

Der Reihe nach: Wir planten Freitagabend einen Ausflug auf die Insel Delft (wo es wilde Ponys gibt), doch der Busbahnhofvorsteher erklärt, dass es Samstag sehr voll werde im Bus, weil auf „Katchetivu“ ein „christan festival“ gebe. Wir beschließen dorthin zu fahren. Allerdings finde ich  diese Insel auf keiner Karte und erst die Suche mit Google Earth bringt Klarheit: Kachchativu, Kachcha-thiva, Kachchatheevu oder Katchatheevu (Tamil: கச்சத்தீவு, Sinhala: කච්චතීවු) ist ein wenige hundert Jahre altes, unbewohntes Inselchen vulkanischen Ursprungs ohne Trinkwasser, liegt vor der Küste Indiens und hat außer Buschland nur eine Kapelle, ein Kreuz und eine Statue des St. Antonius zu bieten. Er wird in Sri Lanka nicht nur von den Christen verehrt. Auf der Insel gibt es seit über 50 Jahren an einem Februar-Wochenende ein Fest der Sri Lankischen und Indischen Fischer zu seinen Ehren, das mit Endes des Krieges in der Region (2002) wieder durchgeführt wird.
[Danke an Marco für die Karte]

Unser Abenteuer beginnt um kurz nach sieben ungefrühstückt im überfüllten Linienbus, der uns über rumpelige Deiche und Straßen zum westlichsten Hafen Ceylons nach „KKD“ (Kurikattuwan) bringt. Die Marine organisiert den Transport auf die Insel – sie kontrolliert zunächst die Reisepässe. Die haben wir nicht mit, es gilt also freundlich, beharrlich und geduldig zu reden. Wir haben keine Lust eineinhalb Stunden zurück zu fahren!

Nicole fällt schließlich ein: „my husband knows the numbers of all passports!“, was die Offiziere überzeugt. Nach einigem Nachdenken habe ich die Nummern ausgedacht, äh erinnert und es kann weitergehen: „Boat 92“ ist ein kleiner Fischkutter, der mit gut 50 Personen besetzt wird und im Schneckentempo fährt. Die Schätzungen der anwesenden DSC_0101 (409x640)Fischer und Mitreisenden, die z.T. schon seit zig Stunden aus dem ganzen Westen Sri Lankas anreisten, reichen von 2 – 5 Stunden Fahrtzeit. Auf dem Dach des Kutters geht ein leichtes Windchen, IMG_1523 (768x1024)aber die Sonne brüllt umso heißer. Alle versuchen sich zu schützen mit Handtüchern, Rettungswesten (die keiner trägt) und Schirmen.

Irgendwann verschwinden auch die letzten Inseln außer Sichtweite und es sind schon 3 Stunden vergangen. Eine Gruppe Delfine IMG_1529 (768x1024)kreuzt unseren Weg, der brüllend laute Motor macht Schwierigkeiten und der Chef schaufelt Wasser aus der Bilge. Unter und auf dem Deck kehrt Langweile ein, denn Kommunikation ist wegen des Motorlärms und fehlendem Handyempfang nicht mehr möglich.

Von der ersten Sichtung der Insel bis zum Anlegen vergehen nochmals 1,5 Stunden – wir reichen uns ein in eine Schlange von Kuttern, Bötchen, Trawlern und sonstigen Gefährten, die an dem von der Navy errichteten Ponton anlegen, die Pilger abladen und gleich wieder abdrehen. Rund um die Insel sind Kreuzer und Versorgungsschiffe sowie bewaffnete Unser Boot legt anSpeedboote der Navy postiert, das augenscheinliche Chaos zu beobachten – und ein Zeichen zu setzen: Dies ist Territorium von Sri Lanka!

Die territoriale Frage ist keineswegs geklärt: Die Inder reklamieren die Insel (und vor allem die Fischgründe) zurück, weil die von Sri Lanka so bezeichnete „Schenkung“ von 1974 ungültig sei. Mit Ende des Bürgerkrieges verlor das Eiland seine Bedeutung als (Waffen-)Schmugglernest und dient DSC_0133 (1024x900)Fischern beider Nationen als Erholungs- und Reparaturort. Alle paar Monate gibt es Ärger mit indischen Fischern in Sri Lankischen Gewässern.

Den territorialen Anspruch signalisieren auch Dutzende von Fahnen am „Eingang“, an dem Navi, Polizei und Zoll kontrollieren, weil auch tausende von Indern einreisen möchten.
Ohne Pass kommt hier keiner rein! DSC_0206 (1024x665)
Wir sind inzwischen aber im Bereich „aktives Anstehen“ und „Beharrlichkeit“ ziemlich gut und auch diese Hürde ist recht schnell genommen.

Es stellt sich ein ganz anderes Problem: Die Bootsfahrt dauerte 4,5 Stunden, es ist inzwischen nach 14 Uhr – wann und wie kommen wir heim? Auf dem Fischkutter erfuhren wir nämlich: „No boat back today! Everybody sleeping on Kachchativu!“ Wie sollen 9.000 Pilger auf 1,5qm Buschland Platz finden?

Ich finden einen Marinesoldaten mit etwas mehr Schmuck an der Brust und den Schultern, der wieder einen anderen und so weiter, bis mir schließlich ein T-Shirt-Träger erklärt: „We arranged a boat for you. Be here at sixteenhundredthirty!“ Dieser Mann hat offensichtlich viel zu sagen, wie sich später noch herausstellen wird!

Jetzt können wir endlich den Trubel genießen: Zunächst quer über die Insel zum – von der Navi abgegrenzten Bereich der beach:DSC_0144 (640x405) „Only for swimmer!“ (auf Tamil), der genauso wie der Nichtschwimmerbereich von Bademeistern bewacht wird. Auf dem Weg dorthin werden wir ungefähr einhundert Mal fotografiert – heute sind wir die Tiere im Zoo! Auch werden wir drei Mal von Soldaten angesprochen: „Remember your boat will leave in time! It will go at 4 o’clock!“

Das Wasser ist trotz seiner Wärme ungeheuer erfrischend, denn hier gilt: „Jaffna is hot, this islet is very hot!“

Beim Planschen in der wunderschönen Bucht unterhalb der Kapelle werden wir von vier offiziell aussehenden Herren aus dem Wasser gepfiffen – mit einer Pfeife, die alle zweihundert Schwimmer hören. Was haben wir falsch gemacht? Ich klettere aus dem Wasser: „Sir, you have fever?“ „Äh, no, I am fine!“ „Sir, your wife has fever? Or the children?“ “No, we are all fine!” “Sir, no-one sick? Anyone fever?” “We are all absolutely fine and feel happy!” “But Sir, I heard that you have to be transported back to Sri Lanka, I thought you might be ill!”

Der Arzt und seine Begleiter verhören mich noch kurz, woher wir kommen und was wir denn auf der Insel wollen und erklären mir, dass das Schiff „at three o’clock“ abfahren wird und wir nicht zu spät kommen sollen…

Einige hundert Fotos später (zu sehen auf St. Antoniusindischen facebook-Posts), nach Besuch der Kapelle mit Gebeten und Kerzen für Menschen, an die wir denken (und für unseren Kerzen und Räucherstäbchenverstorbenen Kater Mio) machen wir uns durch die vielen Verkaufsstände auf den kurzen Rückweg zum Anleger.

Unser Vertrauen in die Navy wächst nicht nur wegen der ausgezeichneten Organisation weiter, als uns Uniformierte ansprechen: „Hello, we were already searching for you to remember you, that the boat will leave soon!“ Angesichts der vielen Soldaten, die sich um alles äußerst freundlich kümmern, mit Funkgeräten bestückt sind und der Tatsache, dass wir augenscheinlich die einzigen Weißen sind, dürfte die Suche leicht gewesen sein…

Am Ponton (gegen 16h) kann unser Schiff nicht anlegen, noch immer ist die Schlange der drängelnden Pilgerboote lang. Eine professionelle indische Personenfähre legt an: Plötzlich richten sich mehrereIndische Pressefotografen TV-Kameras auf uns und wir müssen zig Pressefotografen posieren. Wir geben Interviews in Serie, müssen Namen aufschreiben und bekommen Visitenkarten von Zeitungen überreicht.

Und wir erfahren: Wir sind die ersten Europäer (=Weiße), die je bei diesem Fest anwesend waren!

Ein letztes Mal versuchen uns wildfremde Menschen zu überreden über Nacht zu bleiben, bieten nochmals Matten und Essen an (für Wasser sorgt Trawler der pilgernden Fischerdie Navy), doch schweren Herzens und komplett sonnenverbrand besteigen wir das Schiff der Coast Guards.

Ein DSC_0258 (654x1024)letzter Beweis des Rangs des T-Shirt-Trägers: Ein Offizier kommt an Bord: „Are you the German family? I am ordered to check if you are safely on board!” Er verlässt das Schiff, das pünktlich um 16:40 h ablegt und durch die wartenden Trawler und den Sonnenuntergang Richtung main land tuckert.Sonnenuntergang zwischen Katchativu und Delft

Natürlich gibt es gegen 20h keine Busse mehr so weit entfernt von Jaffna – ein hoher Angestellter der Bank of Ceylon (die für das Wochenende eine Filiale im Zelt auf dem Eiland betreiben) fährt uns mit komplett erschöpften Kindern bis vor die Haustür –
uns, die ersten Europäer beim St. Anton‘s Festival on Kachchativu!

Nachträge:

Hier eine Helicam Ansicht von Samstag nachmittag

4.003 Pilger aus Indien, auf 110 Schiffen, keinerlei besondere Vorkommnisse, schreiben die Indischen Medien
3.000 Pilger aus Sri Lanka, berichtet das Fernsehen

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(1) Kommentar

  1. Rebecca sagt:

    Hallo Ihr lieben,
    Mit Spannung habe gerade Euer inselabenteuer gelesen.

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